Aus dem Leben des Verlegers Leopold Weil (Laupheim, Ehingen, Saulgau, Ellwangen), seiner Söhne Albert und Sigmund (Ellwangen, Tübingen) und ein wenig aus der Geschichte der Ehinger christlichen Verlegerfamilie Feger
(Dezember 2019)
In Ehingens Nachbarstadt Laupheim gibt es das Museum zur Geschichte von Juden und Christen; sein Leiter, der aus Ellwangen stammende Dr. Michael Niemetz, teilt mir, dem früheren Ehinger Lokalzeitungsverleger Veit Feger, freundlicherweise mit: Ein Leopold Weil aus der einstigen jüdischen Gemeinde Laupheim arbeitete im Buchdrucker-Beruf 1856 als junger Mann bei meinen Verleger-Vorfahren Thomas oder Louis Feger. Wenige Jahre später gründete dieser Leopold Weil in Ellwangen eine eigene Zeitung. Leopold Weil brachte es - in unserem meist antisemitisch gestimmten Deutschland – Jahrzehnte später bis zum Vorstandsmitglied des Verbandes württembergischer Druckereibetriebe.
„Ein Jude, bei den Fegers beschäftigt“ – das war mir, Veit Feger, neu. Mein Interesse war geweckt. Ich wollte mehr über diesen ungewöhnlichen Mitarbeiter meiner Vorfahren wissen.
- Einiges konnte ich der Selberlebensbeschreibung von Leopold Weil entnehmen, anderes dem Internet und insbesondere der Website „Alemannia Judaica“. Diese Site war für mich besonders hilfreich und in ihr vor allem die (unten näher ausgeführten) Angaben über einen Streit um die Wende zum 20. Jahrhundert zwischen Leopold Weil (oder einem seiner Söhne) als Ellwanger Zeitungsverlegern und einer konkurrierenden antisemitischen Regionalzeitung; dann, im Blick auf die Kinder von Leopold Weil, das höchst verdienstvolle Buch von Lilli Zapf, „Die Tübinger Juden“, 1978 (2. Auflage). Dieses Buch dokumentiert ausführlich die Lebensläufe der Kinder von Leopold Weil, die bis zum NS-Reich in Ellwangen, dann in Tübingen erfolgreiche Zeitungsverleger waren. Mit dem NS-Reich folgten freilich für alle Familienmitglieder schreckliche Jahre und Jahrzehnte.
Leopold Weil wurde in Laupheim am 21. Dezember 1832 geboren (gestorben in Ellwangen am 7. Juni 1913). Im Jahr 1856 arbeitete Leopold Weil in der Ehinger Buchdruckerei Feger (mit Buch- und Zeitungsverlag). Deren damaliger Besitzer Thomas Feger gab die örtliche Tageszeitung („Volksfreund für Oberschwaben“) heraus. Der hochbetagte Leopold Weil erinnert sich daran, dass er in der Druckerei der Familie Feger unter anderem ein katholisches Gesangbuch zu setzen hatte (mit Kompositionen eines Pfarrers in dem zehn Kilometer entfernten Dorf Schmiechen (Franz Xaver Reihing, 1804 - 1888). Der junge Leopold marschierte mehrmals (zu Fuß) nach Schmiechen, um dem Pfarrer Korrekturbögen zu bringen, und r wurde dort, so erinnert er sich noch Jahrzehnte später, jeweils freundlich bewirtet. – Auch den Weg zwischen seinem Heimatort Laupheim und dem 17 Kilometer entfernten Ehingen legte Weil des öfteren einfach mal so zu Fuß zurück, und das auch teils mitten in der Nacht, wenn er zuvor am Sonntagabend in Laupheim bei einem Tanz gewesen war und am Montagmorgen in Ehingen wieder arbeiten sollte. In seiner Autobiographie erinnert sich Weil auch an seinen nächsten Arbeitsplatz, im Saulgauer Zeitungsverlag Edel, ebenfalls mit Druckerei. Dort, so schreibt er, trat er öfters zusammen mit seinem Arbeitgeber als Gesangsduo auf.
1865 (andere Quellen nennen andere Jahreszahlen) gründete Leopold Weil die „Jagstzeitung“ (Titel auch „Jagstzeitung und Bopfinger Tagblatt“).
Anfangs erledigte L. Weiß dort alle anfallenden Arbeiten selbst: vom Zeitungssatz und -druck bis zur Verteilung der gedruckten Exemplare durch Austragen.
Leopold Weil konnte in die Familie des (aus Lauchheim nach Ellwangen zugewanderten) Buchhändlers und Antiquars Isaak Hess einheiraten, was sicher für den Erfolg seines Zeitungsprojekts von Vorteil war. Isaak Hess war nämlich auch außerhalb seiner Glaubensgemeinschaft sehr angesehen: Gegen sein Lebensende ehrte ihn der württembergische König mit einem Orden https://www.deutsche-biographie.de/gnd137563701.html#ndbcontent.
Bedeutendster Schüler des Antiquars Isaak Hess war der aus Fellheim bei Memmingen stammende, später in München erfolgreiche Antiquar Ludwig Rosenthal; dieses Antiquariat besteht noch immer, inzwischen infolge der NS-Zeit in London. (Ludwig Rosenthal: geb. 2. Juli 1840 in Fellheim; gest. 23. Dezember 1928 in München).
Joachim Hahn schreibt in den „Alemannia Judaica“ zu Leopold Weil: Er „lernte (sc. den Beruf des Druckers) in einer Buchdruckerei in Laupheim, ging danach auf Wanderschaft in Baden, Bayern und Sachsen; nach einer ersten Stelle in Wien kam er über den Buchhändler Isaak Heß nach Ellwangen. Weil heiratete 1858 Lea, eine Tochter von Isaak Heß, und übernahm noch im selben Jahr die Leitung der Buchdruckerei und des Amtsblattes von Ellwangen, das Heß für ihn erworben hatte. Nach dem frühen Tod von Lea heiratete Weil 1861 Hanna geb. Neuburger. Seine Buchdruckerei florierte unter seiner umsichtigen und klugen Leitung. 1896 übergab er den Betrieb an zwei seiner Söhne. Er wurde nach seinem Tod auf dem jüdischen Friedhof in Ellwangen beigesetzt. Seine Frau starb zwei Jahre später und wurde ebd. beigesetzt.“
Bei der Goldenen Hochzeit Anerkennung für das Lebenswerk
In der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 28. April 1911 (abgedruckt in Alemannia Judaica, Kapitel „Ellwangen“) wird von der Goldenen Hochzeit des „Privatiers“ Leopold Weil berichtet. Leopold Weil „beging mit seiner Ehefrau Hanna geborene Neuburger am Sonntag, den 9. April, in seltener Geistesfrische und körperlicher Rüstigkeit, umgeben von seinen Kindern, Enkeln, einer Urenkelin und Verwandten das Fest der goldenen Hochzeit.
Leopold Weil widmete sich in jungen Jahren dem Buchdruckereigewerbe, war in mehreren Städten Norddeutschlands und in Wien tätig, und übernahm später, nachdem er das Zeitungswesen gründlich kennen gelernt hatte, die Leitung des Amtsblattes Ellwangen, das er kurz darauf als Eigentum erwarb und durch unermüdlichen Fleiß im Verein mit hervorragender Begabung zu hoher Blüte brachte. Im Juli 1903 verkaufte er seine ausgedehnte Buchdruckerei mit dem Verlag der 'Jagstzeitung' an die Aktiengesellschaft 'Deutsches Volksblatt' und lebt seitdem als Privatier in Ellwangen. Der König von Württemberg ließ den Jubilaren durch den Vorstand der Stadt Ellwangen eine Bronzeplakette mit seinem Bildnis und mit Widmung überreichen; der Regierungspräsident des Jagstkreises zeichnete sie durch ein Handschreiben aus, in welchem er in warmen Worten Weil als Nestor der württembergischen Journalistik feierte. Von nah und fern hatte sich das Jubelpaar zahlreicher Beweise der Verehrung und Wertschätzung zu erfreuen; alle Kreise der Stadt Ellwangen, ohne Unterschied der Konfession, nahmen an dem Fest teil und lieferten so den Beweis, welches Ansehen die Jubilare genießen, die treue Anhänger des jüdischen Glaubens sind."
(Lebenserinnerungen von Leopold Weil, ergänzt durch Berichte des Sohnes Albert)
1929 veröffentlichten die Kinder von Leopold Weil den eingangs bereits erwähnten Band mit Erinnerungen ihres verstorbenen Vaters. Der jüdische Lehrer und spätere Rabbiner Josef Wochenmark (https://www.kirchenmusik-festival.de/familie-wochenmark.html) schreibt am 1. April 1930 in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs" u.a., Weil schildere in dem genannten Buch seine „Lehr- und Wanderjahre als Buchdrucker und Setzer, die ihn durch ganz Deutschland und Österreich führten“. Wochenmark berichtet auch, dass Weil auf Veranlassung seines späteren Schwiegervaters Isak Heß nach Württemberg zurückkehrte. „zuerst in Ehingen, dann in Saulgau als Angestellter tätig war, bis er am 1. Januar 1858 die Leitung der ‚Buchdruckerei Kaupert in Ellwangen mit Amtsblatt‘ übernahm.“ Wochenmark: „Die weitere Entwicklung des Unternehmens… seinen Einfluss und seine Beliebtheit bei den christlichen Berufsgenossen des Landes, die ihn sogar in den Vorstand des Württ. Buchdruckervereins wählten, schildert sein Sohn, Albert Weil, in den ‚Ergänzungen‘ der interessanten Familienschrift.“
Hier die ausführlichste im Internet verfügbare Darstellung der Verleger-Familie Weil (Leopold und seine Söhne) in Ellwangen und anschließend in Tübingen
(Karl Heinz Burmeister, in „Württembergische Biographien 1, 295-297“):
„Seit 1.1.1865 erschien dreimal wöchentlich (seit 1.10.1866 täglich) die ‚Jagstzeitung‘ in Ellwangen.
Gründer und Leiter der Zeitung war Leopold Weil, in den ersten Jahren zugleich Setzer, Drucker, Berichterstatter, Redakteur und Austräger. 1880 kaufte er zwei Häuser in der Spitalstraße 17–19 und richtete dort den Zeitungsbetrieb ein. - 1896 übernahmen Leopold Weils Söhne Albert und Sigmund die Leitung des Betriebes. 1898 gelang es den Brüdern, durch rasches Beobachten und Handeln, in ihrer ‚Jagstzeitung‘ den Tod des Bischofs von Eichstätt noch vor der dem ‚Zentrum‘ nahestehenden ‚Ipf-Zeitung‘ bekannt zu geben; und einen Tag später brachten sie dank ihres Tempos vor der Konkurrenz ein Foto des aufgebahrten Bischofs.
1902 kauften die Brüder Weil die ‚Tübinger Chronik‘; zugleich verkauften sie 1903 den Druckerei - und Zeitungsverlag mit der ‚Jagstzeitung‘ sowie das Weil’sche Anwesen in Ellwangen an die Aktiengesellschaft ‚Deutsche Volkszeitung‘ in Stuttgart. In einer Übergangsphase leitete ab 1. 1. 1903 Sigmund Weil die „Tübinger Chronik“, während Albert Weil vorübergehend noch in Ellwangen blieb und erst im Juli 1903 nach Tübingen übersiedelte. -
Otto Riecker wandte sich 1902 nach Ellwangen an Leopold Weil, den langjährigen Vorstand des württembergischen Buchdruckervereins. Er suche für seinen Tübinger Verlag einen Nachfolger, teilte er ihm mit und verknüpfte damit die Anfrage, ob denn nicht dessen beiden Söhne Interesse an neuen Aufgaben hätten. Albert (geboren 1862) und seinem um ein Jahr jüngeren Bruder Sigmund kam das Tübinger Angebot offenbar gelegen. Sie hatten zwar 1896 von ihrem Vater die Ellwanger ‚Jagstzeitung‘ übernommen, doch setzte ihnen dort der Verleger der auflagenschwächeren ‚Ipf-Zeitung‘ mit antisemitischen Attacken zu. Im Herbst 1902 führte Albert Weil mit dem Ehepaar Riecker in Tübingen die Verkaufsverhandlungen, deren erfolgreichen Abschluss Otto Riecker nicht mehr erlebte. Er starb am 28. Oktober 1902 im Alter von erst 41 Jahren. - Zum 1. Januar 1903 übernahm Sigmund Weil den Tübinger Betrieb und führte ihn vorerst in den bisherigen Bahnen, derweil Albert bis Juli gleichen Jahres die „Jagstzeitung“ leitete, deren Verkauf vorbereitete und sofort ebenfalls nach Tübingen wechselte. Nach Fertigstellung des Neubaus in der Uhlandstraße zog er mit seiner Frau, fünf Töchtern und einem Sohn von der Herrenberger Straße 49, wo er sich mit seiner Familie zunächst niedergelassen hatte, in eine geräumige Sieben-Zimmer-Wohnung in der ersten Etage des Verlagsgebäudes. Sein Bruder fand nach dem Auszug aus der Hirschgasse neuen Wohnraum in der Mühlstraße 20, wo er noch seine verwitwete Schwester Clara mit deren beiden Töchtern aufnahm, die aus München zugezogen waren.“
Zerstreut in alle Welt…
Über das Schicksal der Kinder, Enkel und weiterer Nachfahren von Leopold Weil hat die Tübingerin Lilli Zapf erstaunlich viele Informationen zusammengetragen. Alle folgenden Aussagen beruhen auf ihrem Buch, das sie unter schwierigsten Umständen in den ersten Jahrzehnten nach dem Dritten Reich erarbeitete (erstmals erschienen 1974).
Zapf führt den Verkauf des Tübinger Verlags mit Druckerei im Jahr 1930 auf antisemitische Anfeindungen zurück und wohl auch darauf, dass Albert Weil für JÜDISCHE Deutsche schwere Zeiten heraufziehen sah. Käufer der „Tübinger Chronik“ war damals Dr. Karl Höhn, Ulm. Albert Weil wanderte 1931 in die Schweiz aus und starb 1946 im Israelitischen Altersasyl in Lengnau / Schweiz. - Albert Weils Sohn Hermann, geboren 1903, sollte laut Verkaufsvertrag von 1930 Geschäftsführer des Tübinger Zeitungsverlags bleiben; er wurde aber 1933 von der Regierung gezwungen, aus dem Verlag auszuscheiden. Er zog nach Stuttgart und wanderte Ende 1933 nach Tanganjika aus und versuchte sich hier als Kaffee-Pflanzer. Nach dreißig wechselvollen Jahren in Afrika kehrte er nach Deutschland zurück, lebte in Burscheid bei Köln und starb 1973. Über seine Kinder und seine Schwestern ist bei Zapf, S. 173f, ausführlich nachzulesen. Diese Menschen wurden zerstreut nach Frankreich, Belgien, USA, Palästina. Wie bei zahlreichen Lebensläufen anderer geflüchteter jüdischer Menschen enthalten diese Angaben Schreckliches im Überfluss.
Ein katholischer Geistlicher verzichtet auf den Alleinwahrheitsanspruch des Christentums,
ein jüdischer Zeitungsverleger zitiert ihn….
Eine oben bereits erwähnte Zeitungsfehde um die Wende zum 20. Jahrhundert (in „Alemannia Judaica“ mit den originalen Zeitungstexten belegt) war für mich, Veit Feger, besonders bewegend. Der Zeitungsmacher Leopold Weil (oder damals bereits einer seiner Söhne) veröffentlichte in der Ellwanger Zeitung das Gedicht eines katholischen Geistlichen, des einstigen Konstanzer Generalvikars Ignaz Heinrich von Wessenberg, Titel: „Mein Glaube“. Jüdischen Menschen damals in Deutschland sprach dieses Gedicht aus der Seele; dieses Gedicht wurde auch in überregionalen jüdischen Medien veröffentlicht („Die 'Allgemeine Zeitung des Judentums' hat das Gedicht schon wiederholt abgedruckt“).
Es lohnt sich, meint der Verfasser des hier veröffentlichten kleinen Aufsatzes, VF., dieses Gedicht näher anzuschauen. Es ist heute per Internet leicht zugänglich; ich füge das Gedicht am Ende des Textes an. - Die zentrale Aussage: Wichtig ist im Leben, was wir tun und ob wir an einen guten Gott glauben. Ob das nun der Gott der Tora, des Neuen Testaments oder des Korans ist, ist nicht wesentlich: Gott wird uns nach dem Tod nicht wegen unseres unterschiedlichen (dogmatischen) Glaubens richten, sondern wegen unserer Taten und wegen unseres Glaubens an ihn als Höheres Wesen. - Ignaz Heinrich von Wessenberg gab mit diesem bekenntnishaften Gedicht den eigentlich bis heute im Katholizismus gültigen Alleinwahrheitsanspruch der katholischen Kirche auf. Und deshalb zog der Ellwanger Gedicht-Veröffentlicher an der Wende zum 20. Jahrhundert nicht nur die Wut von Antisemiten auf sich, sondern auch von katholischen Geistlichen. In einer Konkurrenzzeitung aus dem nahen Bopfingen wurde Verleger Weil geschmäht: Der Bopfinger Pfarrer Waldraff schrieb, Redakteur Weil stehe „im Dienste des Unglaubens“. Dadurch, dass Leopold Weil das Gedicht aus Wessenbergs Feder veröffentliche, bringe er, Weil, den „nackten Unglauben“ zum Ausdruck; das Gedicht Wessenbergs sei „ein frivoles Machwerk“ und ein „ungläubiges Geschreibsel“. „Immerhin ist es äußerst abgeschmackt und anmaßend, wenn ein Jude in christlichen Glaubenssachen macht (sic!) und sich als Reformator der christlichen Glaubens- und Sittenlehre einen Namen verschaffen will. Derartige Frivolitäten müssen auch dem verschlafensten Katholiken die Augen öffnen, sodass sie sich sagen müssen: 'Nein, das geht denn doch übers Bohnenlied', so gemütlich sind auch wir nicht, dass wir unseren Glauben uns aus der israelitischen Redaktionsstube des L. Weil in Ellwangen vorschreiben lassen.'
Der Beleidigungsklage Weils gegen den verantwortlichen Redakteur der Ipf-Zeitung wurde vom örtlichen Gericht stattgegeben. Ein Schöffengericht verurteilte den Pfarrer Waldraff zu 100 Mark, den Redakteur des 'Ipf' Nuber zu 75 Mark Geldstrafe. In der Urteilsbegründung heißt es u.a., der Pfarrer habe „vermöge seiner Bildungslaufbahn und als Geistlicher es unterlassen“ sollen, „ehrenhafte Nebenmenschen in gehässiger Weise anzugreifen.“ Dem verantwortlichen Redakteur schrieb das Gericht ins Stammbuch: „Das die Tageszeitungen lesende, auf Anstand haltende Publikum“ ist „vor kleinlichsten, im letzten Grund eigentlich nur auf Herrschsucht und Konkurrenzneid zurückzuführende Zeitungsfehden zu schützen.“
Die Urteilsbegründung lässt einen Zeitgenossen des Jahres 2019 erstaunen: Gerichte in Berlin und München halten derzeit ganz andere Schmähungen von Zeitgenossen für gedeckt durch das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Zum Schluss hier das Gedicht von Ignaz Heinrich von Wessenberg, das in der Ellwanger Zeitung zu Zeiten der Familie Weil veröffentlicht wurde und die Wut eines katholischen Pfarrers in einer Nachbargemeinde weckte:
Mein Glaube
Ich glaube, dass die schöne Welt regiere
Ein hoher, weiser, nie begriff‘ner Geist,
Ich glaube, dass Anbetung ihm gebühre,
Doch weiß ich nicht, wie man ihn würdig preist.
Nicht glaub‘ ich, dass der Dogmen blinder Glaube
Dem Höchsten würdige Verehrung sei,
Er bildet uns ja, das Geschöpf im Staube,
Vom Irrtum nicht und nicht von Fehlern frei.
D‘rum glaub‘ ich nicht, dass vor dem Gott der Welten
Des Talmud und des Alkoran
Bekenner weniger als Christen gelten;
Verschieden zwar, doch alle beten an!
Ich glaube nicht, wenn wir vom Irrwahn hören,
Der Christenglaube mache nur allein
Uns selig! wenn die Finsterlinge lehren:
“Verdammt muss jeder Andersdenker sein!”
Das hat der Weise, der einst seine Lehre
Mit dem Tod besiegelt, nie gelehrt;
Das hat fürwahr - dem Herrlichen sei Ehre -
Kein Jünger je aus seinem Mund gehört!
Er lehrte Schonung, Sanftmut, Duldung üben,
Verfolgung war des Hohen Lehre fern;
Er lehrt‘ ohn‘ Unterschied die Menschen lieben,
Verzieh dem Schwachen und dem Feinde gern.
Ich glaube an des Geistes Auferstehen,
Dass, wenn dereinst das matte Auge bricht,
Geläuterter wir dort uns wiedersehen,
Ich glaub‘ und hoff‘ es! doch ich weiß es nicht.
Dort, glaub ich, werd‘ ich die Sehnsucht stillen,
Die hier das Herz oft foltert und verzehrt,
Die Wahrheit, glaub‘ ich, wird sich dann enthüllen
Dem Geiste dort, dem hier ein Schleier wehrt. –
Ich glaube, dass für dieses Erdenleben,
Glaub‘s zuversichtlich, trotz der Deutlerzunft,
Zwei schöne Güter mir der Herr gegeben,
Das eine Herz, das andere heißt Vernunft.
Die letzt‘re lehrt mich prüfen und entscheiden,
Was ich für Recht und Pflicht erkennen soll,
Laut schlägt das Erst‘re bei des Bruders Freuden,
Nicht minder, wenn er leidet, warm und voll!
So will ich denn mit regem Eifer üben,
Was ich für Wahrheit und für Recht erkannt,
Will brüderlich die Menschen alle lieben,
Am Belt, am Hudson und am Ganges-Strand.
Ihr Leid zu mildern und ihr Wohl zu mehren
Sei jederzeit mein herzlichster Beruf,
Durch Taten glaub‘ ich würdig zu verehren
Den hohen Geist, der mich und sie erschuf.
Und tret‘ ich dann einst aus des Grabes Tiefen
Hin vor des Weltenrichters Angesicht,
So wird er meine Taten strenge prüfen,
Doch meinen Glauben? Nein, das glaub‘ ich nicht!
Ich such einen von mir verfassten Aufsatz -
und finde ihn auf einer fremden Website…..
April 2025,
Vor sechs Jahren, 2019, machte mich der Leiter des Laupheimer Museums (für christliche und jüdische Geschichte), Dr. Niemetz, darauf aufmerksam, dass ein junger jüdischer Laupheimer in den Fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts einige Zeit bei meinem Ururgroßvater Thomas Feger als Zeitungsmacher und Drucker arbeitete, ein Mann, der es später bis zum Verleger einer eigenen Zeitung in Ellwangen brachte; seine Söhne übernahmen dann Anfang des 20. Jahrhunderts die angesehene Tübinger Tageszeitung.
Ich ging nach dem Hinweis des Laupheimer Museumsleiters den Lebensspuren von Leopold Weil und seinen Kindern nach - wie sich rasch zeigte: infolge des dt. Antisemitismus eine fast durchweg bittttere Geschichte.
Ich verfasste einen mehrseitigen Text. Und DIESEN Text suchte ich jetzt in meinem PC - zunehmend verzweifelt, weil ich ihn einfach NICHT fand.
Glücklicherweise fiel mir ein, dass ich diesen Text auch dem „Macher“ der - unvergleichlichen - Website „Alemannia Judaica“ angeboten haben könnte. Ja , da war er: Dr. Joachim Hahn hatte 2019 meinen Text in das Kapitel über Ellwangens jüdische Bezügen eingepflanzt. Ich lud meinen Text runter, bearbeitete ihn ein wenig und speicherte ihn auf meinem Computer ab, so dass ich hoffen kann, ihn bei anderer Gelegenheit wieder zu finden.
Mein Freund Heiner Jestrabek, Heidenheim, der seit bald zwanzig Jahren meine eigene Website betreut, wird den Aufsatz dort auch hochladen.
Ich dachte, der Text hat ja wegen des Orts „Ellwangen“ einen Bezug zum „Literaturarchiv Ostalb“, das der von mir verehrte und bewunderte Volksschullehrer Rainer Wieland vor Jahrzehnten gründete und seitdem führt, ein Wunderwerk an geistiger Arbeit (Ich hab R. Wieland vor über einem Jahrzehnt auf einem Allmendinger Bücherflohmarkt kennengelernt, dort bot er Buch-Doubletten an, den Erlös wandte er seinem Literaturarchiv zu). Ich fragte jetzt Herrn Wieland, ob der Name Leopold Weil ihm was sage. RW guckte kurz in sein hunderte Meter Drucksachen etc. umfassendes Archiv rein und fand sofort sowohl die (für ihn von Dr. Niemetz kopierte) Lebensgeschichte Weils wie mein Aufsätzle über diesen eifrigen und fähigen Mann. Ich hätte also bei der Suche nach meinem Aufsätzle auch Herrn R. Wieland anfragen können. : -)
Mein Aufsatz in der „Alemannia Judaica“ https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20435/Veit%20Feger%20-%20Leopold%20Weil.pdf - - Ein Exemplar der Lebenserinnerungen befindet sich auch in einem israelischen Archiv.: European Holocaust Research - Wiener Library for the Study of the Nazi Era and the Holocaust, Tel Aviv University/ספריית וינר ל... - The Alfred Wiener documents collection” : „Lebenserinnerungen unseres Allverehrten Familienoberhauptes Leopold Weil“. Inhaltsangabe dort auf Englisch:
The file is the memoir of Leopold Weil (1832-1913) published by his son Albert (1862-1946). He was born in Laupheim, where his father was a small trader. He became an apprentice in the local printing business. In 1849 he finished his apprenticeship and started his wandering years. In Stuttgart he saw for the first time a steam train. When jumping over a small canal he twisted his leg. Winter had started and he and a fellow traveler continued to Nuernberg and crossed the Erzgebirge. His foot deteriorated and he arrived in Dresden, where they finally found work. After almost one happy year in Dresden his brother convinced him to move to Berlin. His time in Berlin is marked by sporadic work and poverty. He continued his journey but unemployment was high and he lived mainly on the street but was in good spirits. After being deemed unfit for military service he is offered a job in Vienna in 1853. On his way there he sees the devastation of a flood along the Danube. In Vienna he is responsible for printing the “Musikzeitung” (Music paper) and “Der Humorist” by Moritz Gottlieb Saphir. Later on he was in charge of (metteur on page) an entire newspaper named “Stadt und Vorstadt Zeitung” He spent his free time in theaters and concerts (Nestroy and Strauss). He also witnessed the arrival of Princess Elisabeth in Vienna for her wedding. After three years he moved to Ehingen and Saulgau where he found new positions. Finally, he is able to be in charge of a printing business located in Ellwangen. Here Leopold’s memoirs finish, because of his death, and are continued by his son Albert. Leopold got married in June 1858 but one year later his wife died in childbirth. in 1861 he marries again and becomes the father of 4 sons and 4 daughters. After he got sicker and frailer his sons sell the business in 1902. He was a passionate hunter and lover of nature, traits which he passed on to his children.
Für einen der Söhne von Leopold Weil wurde im Jahr 2025 an seinem Sterbeort Konstanz ein Stolperstein verlegt: https://www.stolpersteine-konstanz.de/stolpersteine/weil_sigmund/# - „Sigmund WEIL - 1863 - 1945, Beyerlestraße 10 - Stolperstein verlegt am 19.05.2024“
Stolpersteine Konstanz 2024 -
Über einen Sohn von Leopold Weil (kopiert 12.4.25.)
https://www.stolpersteine-konstanz.de/stolpersteine/weil_sigmund/#
„Sigmund WEIL
1863 - 1945, Beyerlestraße 10
Stolperstein verlegt am 19.05.2024
Nahm sich nach Verfolgung das Leben.
Sigmund Weil wurde am 2. März 1863 im ostwürttembergischen Ellwangen geboren. Eine Woche später wurde er katholisch getauft. Seine Eltern waren Leopold Weil (1832-1913) und Hanna, geb. Neuburger (1839-1915). Das Ehepaar hatte acht Kinder, von denen drei im Holocaust ermordet wurden.
Sein Vater Leopold Weil war ein erfolgreicher Zeitungsmacher und Gründer der „Jagstzeitung“ in Ellwangen. Zwei seiner Söhne, Albert und Sigmund Weil, leiteten von 1896 bis 1903 diese Zeitung. Nach der Übernahme der „Tübinger Chronik“ und Übersiedlung von Ellwangen nach Tübingen 1903 verkauften die beiden Brüder die „Jagstzeitung“ und investierten in Tübingen in neue Satz- und Druckmaschinen und bauten ein neues Verlagsgebäude in der Uhlandstraße 5.
Im Tübinger Adressbuch von 1908 wird Sigmund Weil als „Buchdruckereibesitzer“ bezeichnet.
1914 verließ Sigmund Weil den Verlag. Wegen zunehmender antisemitischer Hetze in Tübingen verkaufte sein Bruder Albert 1930 die „Tübinger Chronik“ an den Ulmer Verleger Karl Höhn und ging 1931 mit seiner Familie nach Baden (Schweiz) ins Exil; er starb 1946. Die Nazis übernahmen nach 1933 die Tübinger Chronik und führten sie unter dem Namen „Schwäbisches Tagblatt“ weiter.
Mit dem Ausscheiden aus dem Zeitungsverlag 1914 war Sigmund Weil nun „Privatier“.
Am 22. Februar 1914 heiratete er in der katholischen St. Matthäus Kirche in Kopenhagen Hedwig Clara Karoline Höland (geb. am 9.10.1885). Seine Frau stammte aus Deutschland. Warum er in Kopenhagen heiratete, ist nicht bekannt. Obwohl Dänemark im Ersten Weltkrieg neutral war, kehrte Sigmund Weil bei Ausbruch des Krieges nach Deutschland zurück und nahm seinen Wohnsitz in Erfurt.
Am 22. April 1927 kam Sigmund Weil nach Konstanz und mietete mit seiner späteren zweiten Frau, Emma Pauline Schmidt (1880-1958), in der Friedrichstraße 10 ein Einfamilienhaus. Am 23. Mai 1927 erfolgte die Heirat in Donaueschingen; seine Frau stammte aus Ludwigsburg und war Christin (Methodistin). Ob Sigmund bei seiner zweiten Heirat Witwer war oder geschieden, konnte nicht ermittelt werden. Das Ehepaar hatte keine Kinder. 1934 übersiedelte das Paar in den Dietrichweg 10, der 1936 in Beyerlestraße umbenannt wurde.
Im Konstanzer Adressbuch von 1935 ist der Beruf von Sigmund Weil als Kaufmann angegeben.
Nach der Machtergreifung der Nazis musste er im August 1940 in ein sogenanntes Judenhaus in der Bodanstraße 25 umziehen. Judenhäuser waren im Nazi-Behördendeutsch Häuser, die Juden gehörten und in denen nur Juden wohnen durften.
Da Sigmund Weil in einer sogenannten Mischehe lebte, wurde er am 22. Oktober 1940 nicht nach Gurs deportiert. Im September 1941 war er im Jüdischen Gemeindehaus in der Sigismundstraße 41 gemeldet. Wegen der bevorstehenden Arisierung des Jüdischen Gemeindehauses, die im Juni 1943 erfolgte, musste Sigmund Weil im Februar 1943 mit seiner Frau in eine kleine städtische Wohnung in der Inselgasse 30, dem ehemaligen Militärlazarett, umziehen.
Die Verfolgung der Juden unter den Nazis haben Sigmund Weil körperlich und seelisch stark zugesetzt. Anfang der 1940er Jahre, er war mittlerweile schon 77 Jahre alt, wurde er schwer herzkrank. Ob er medizinisch versorgt wurde, ist fraglich. Im Konstanzer Adressbuch von 1943 wurde er nicht mehr erwähnt, wohl aber seine Frau, obwohl sie den jüdischen Namen Weil hatte.
Am 1. Februar 1945, im Alter von 82 Jahren, nahm sich Sigmund Weil das Leben, indem er sich mit Leuchtgas in der eigenen Wohnung vergiftete. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof Konstanz bestattet.
Bilder: Grabstein für Sigmund WEIL auf dem jüdischen Friedhof Konstanz
Grabstein für Sigmund WEIL auf dem jüdischen Friedhof Konstanz
Bild: Uwe Brügmann, 2024“
Veit Feger
eMail: Veit.Feger@t-online.de