Geboren 1915 in Ulm, heute Ruheständler in Israel – Hans Lebrecht erzählt sein Leben

Ein aufrechter Kommunist, Israeli und Freund der Palästinenser

(vf) Im Frühjahr 2007 erschien im Ulmer Verlag Klemm & Oelschläger die Autobiographie des 1915 in Ulm geborenen, jetzt (März 2007) in einem israelischen Altersheim lebenden langjährigen Journalisten und zeitweilig führenden israelischen KP-Mitglieds Hans Lebrecht: „Gekrümmte Wege, doch ein Ziel – Erinnerungen eines deutsch-israelischen Kommunisten. Mit einem Vorwort von Hans Koschnick und einem Geleitwort von Imanuel Noy-Meir. Herausgegeben von Silvester Lechner, Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm e. V.", Umfang 143 Seiten.

Die Erinnerungen Lebrechts begeistern durch ihre Lebendigkeit, ihren frischen, uneitlen Erzählton, die lesefreundliche Gliederung in viele (über achtzig) kurze, jeweils mit Überschrift versehene Kapitel und eine ansprechende Bebilderung. Die Neuerscheinung begeistert auch dadurch, dass Hans Lebrecht sein Privatleben NICHT ausspart: die jahrzehntelange Ehe mit seiner Großen Jugendliebe, später den Umgang mit Kindern und Enkeln. Wenn Hans Lebrecht schildert, wie er seiner Verlobten als Anfangzwanzigjähriger ins damalige Palästina folgt und die beiden sich dann als Straßenmusiker über Wasser halten - das ist einfach sympathisch. - Amüsant zu lesen sind die Begegnungen Lebrechts mit Fidel Castro, mit Kossygin, mit Arafat und mit weiteren Prominenten der Zeitgeschichte in mehreren Ländern (auch in der Bundesrepublik). Der Verfasser dieser Besprechung war und ist angetan von dem offenen herzlichen Lächeln auf zahlreichen Fotos aus acht Lebensjahrzehnten.

Erst einiges Nachdenken, auch die Lektüre von zeitlich früheren (im Internet auffindbaren) journalistischen Texten Lebrechts führte den Schreiber dieser Zeilen zu einer gewissen Distanz und zu einigen Fragen vor allem zu Lebrechts mehrfach wiederholtes Bekenntnis zum Sozialismus, zur Sowjetunion und zu Israel, Fragen, die er dem Autor gern stellen würde, die zu beantworten aber dem inzwischen 92Jährigen wohl schwer fielen.

Vorab gilt Dank dem Leiter des Ulmer Dokumentationszentrums, Dr. Silvester Lechner, der sich viel Mühe gegeben hat, die bereits seit Sommer 2003 fertig vorliegenden Memoiren von Elke Nordbrock und Mike Landshut ins Deutsche übersetzen zu lassen, vorsichtig von dem Ulmer Publizisten Thomas Vogel redigieren und vom israelischen Verwandten Lebrechts, Imanuel Noy-Meir gegenlesen zu lassen, einen Verleger aufzutun und Sponsoren für die Drucklegung zu finden.

Im Folgenden einige Inhalte dieser Erinnerungen, die der Verfasser dieser Besprechung für besonders interessant hält.

Aufstieg einer Familie aus dem württembergischen Dorfjudentum

Lebrechts Vorfahren VÄTERLICHERSEITS hatten sich von Wanderhändlern in Pflaumloch vor den Toren Nördlingens hochgearbeitet zu Gerbereifabrikanten in Ulm und weltweit tätigen Lederhändlern.

Die elterliche Firma in Ulm wurde 1939 arisiert (wie man damals sagte), das Gelände im Jahr 1944 zerbombt und „von der in der Nähe gelegenen Pflugfabrik Eberhardt aufgekauft".

Die MUTTER von Hans Lebrecht stammte aus einer ebenfalls jüdischen Familie, Bankiers in Nürnberg. Der Nürnberger Großvater von H. Lebrecht war Ehrenbürger dieser Stadt und tat sich unter anderem durch die Stiftung einer goldenen Dacheindeckung für eine katholische Hauptkirche Nürnbergs hervor.

Hans Lebrecht fügt in dieses zunächst so fabelhaft klingende Kapitel über seine Nürnberger Vorfahren ein Stück bittere Gegenwart ein: 1986, bei einem Besuch in Nürnberg, spricht Lebrecht den „damaligen Bürgermeister" auf den Antrag eines kommunistischen Gemeinderatsmitglieds an: Die Stadtverwaltung möge eine Straße nach Max-Hans Kohn benennen (einem Cousin von Hans Lebrecht). Kohn wurde im März 1933 als junges KP-Mitglied inhaftiert, gefoltert, ins KZ Dachau verfrachtet und zwei Jahr später dort ermordet. „Bis zum heutigen Tag", so Lebrecht jetzt, "gibt es noch nicht einmal eine kleine Gedenktafel, die an diesen tapferen Max-Hans Kohn, meinen Cousin, erinnert." „Den Hass der Nazis hatte er sich zugezogen," weil er das örtliche KP-Zeitungsverlagsgebäude verteidigte, als SA-Trupps das Gebäude im März 1933 plündern wollten. (Seite 17)

Frühe Lektüre von „Mein Kampf" - Streit über „Auswandern oder nicht"

Lebrecht erinnert sich an die Diskussionen, die er und seine drei Brüder im Frühjahr 1933 mit dem Vater über die Alternative „ganz schnell auswandern oder bleiben" führten. Der Vater hielt (wie damals viele andere jüdische Deutsche) die neue Regierung für etwas bald Vorübergehendes. Regierungswechsel waren ja typisch für die Weimarer Republik. Hans aber hatte damals schon „Mein Kampf" gelesen (als einer von „sehr wenigen Juden") und „wusste es besser". Der 18-Jährige war auch unterrichtet von einem Mitglied seines Turnvereins, dem Ulmer Polizisten Hans Staib: Dieser war ins KZ Heuberg abgeordnet worden, erlebte, wie dort Häftlinge „behandelt" wurden und quittierte deshalb den Polizeidienst. Als Hans seinem Vater erzählte, was er von dem Turnfreund gehört hatte, schlug ihm der Vater ins Gesicht (!) und verbot ihm, weiterhin solche Lügen zu erzählen. (S. 21)

Der 18-jährige Hans erlebte 1933 und in den Folgejahren die beeindruckende Loyalität weniger Freunde und die bittere Illoyalität vieler anderer gleichaltriger und älterer Arier (oder solcher, die dafür gehalten sein wollten).

Zerstreut in alle Welt

Die drei Brüder von Hans flohen in der zweiten Hälfte der Dreißiger Jahre auf schwierigen Wegen nach Südamerika. Die Eltern lebten (nach der Enteignung) unter schwierigsten Umständen in Ulm bis 1941. Ohne die Lebensmittelspenden ihres früheren Kindermädchens Emmy Sautter und von Hans Lebrechts Freund Rudolf Bloching wären sie verhungert, so ihr Sohn in dem hier besprochenen Buch. Diese beiden „Arier" kannten die großen Risiken einer solchen Hilfe: Hätte man sie erwischt. wären sie hart bestraft worden. Gewissermaßen in letzter Minute gelang den Eltern die Flucht aus Deutschland. Nach Jahren der Wanderschaft landeten sie schließlich bei einem der vier Söhne in Brasilien. Dort starben sie hochbetagt 1974 bzw. 1981.

Tod an der Schweizer Grenze - Auschwitz-Orchester

Die Große Liebe Hans Lebrechts war eine der Töchter des damaligen Kantors der Ulmer jüdischen Gemeinde: Tosca flüchtete bereits 1936 nach Israel; Hans folgte einige Jahre später. Eine SCHWESTER von Tosca, Esther verheiratete Bejarano, wurde Jahrzehnte später durch ihr Buch über die Zeit als Mitglied des Auschwitzer Mädchen-Orchesters bekannt. - Einer andere Schwester von Tosca, Ruth, und ihrem Mann gelang die schwierige Flucht aus dem niederländischen Sammellager Westerbork; die beiden wurde aber von Schweizer Grenzern zurückgeschickt und kurz darauf in einem Steinbruch nahe der Schweizer Grenze ermordet.

Ein Hochschulstudium war für Hans Lebrecht im beginnenden Dritten Reich als Nicht-Arier nicht mehr „drin"; er konnte aber 1937 über mehrere „Umwege" im badischen Durlach eine Lehre als Metallbauer abschließen.

Hans war inzwischen schon zum begeisterten Kommunisten geworden. Nach außen gab er sich als Zionist, weil DIESE Gruppe jüdischer Deutscher vergleichsweise am wenigsten unter NS-Beobachtung litt, so der Autor. Hans wurde von einem (verdeckten) KP-Mitglied der Berliner Zionisten-Zentrale als Begleiter einer jungen Auswanderergruppe nach Palästina geschickt; kehrte aber bald zurück. Indes nicht für lange. Die Gestapo hatte Wind von seiner KP-Tätigkeit bekommen. Ein deutscher Freund warnte Hans; es gelang ihm mit knapper Not die Flucht. Wohin? Klar: nicht zu seinen Brüdern, sondern dorthin, wo seine Geliebte lebte.

Bomben über Tel Aviv - Haft in einem englischen Gefängnis

Mit knapper Not entgeht das junge Paar 1940 in Tel Aviv einem Bombardement italienischer Flieger (150 Menschen kamen damals um).

Weil Hans bei der englischen Mandatsmacht im Verdacht stand, Mitglied der verbotenen jüdischen KP zu sein, wurde er mehrere Monate lang inhaftiert. Im Gefängnis lernte er palästinensische und jüdische KP-Mitglieder kennen. Der Bibliothekar des Gefängnisses, ein hochgebildeter Araber, lieh Hans Bücher von Marx, Engels, Lenin, Stalin und wurde sein „Mentor": „Von ihm konnte ich vieles" über Palästina erfahren. „Seine Vision bestand in einer gemeinsamen Auflehnung progressiver Araber und Juden gegen die britische Kolonialherrschaft und die Gründung eines gemeinsamen Staates, in dem beide Gruppen die gleichen Reche genössen." (S. 46). (Der Klärung bedürftig erscheinen mir in diesem Zusammenhang einige Angaben der Neuerscheinung: Seite 52 schreibt Lebrecht von der „palästinensischen KP", auf Seite 53 ist die Rede von zwei KPs, der „jüdischen sowie der arabischen". Beide warben in diesen ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg „für eine friedliche Koexistenz und eine wirtschaftliche Union zwischen beiden Staaten" (gemeint wohl damals: „Bevölkerungsgruppen").

Israelische Kommunisten besorgen Waffen für Israel in einem KP-Staat

Dass sich die Israelis nach der Staatsgründung 1948 gegen eine militärische Invasion aus arabischen Nachbarländern wehren konnten, verdankten sie auch Waffenlieferungen aus der Tschechoslowakei. Dass die damals KOMMUNISTISCH dominierten Tschechen diese Waffen lieferten, führt Lebrecht auch auf Prag-Kontakte der israelischen KOMMUNISTEN zurück. Die Waffen aus der Skoda-Produktion trugen noch NS-Embleme; sie waren noch für das Dritte Reich bestimmt gewesen;das erste, was Hans und seine Mitsoldaten damals taten, war, „die Hakenkreuze abzuschleifen". (55)

Lebrecht erzählt in diesem Zusammenhang von der Verfolgung jüdischer Kommunisten in den sozialistischen Staaten (Stichwort „Slansky", S. 60), aber - so empfindet der Rezensent hier und andernorts: Es gab und gibt nichts in der Welt, was Lebrecht von seiner pro-kommunistischen Überzeugung abbringt.

Nach Deutschland rückwandern oder nicht?

1951 besucht Lebrecht zum ersten Mal wieder Deutschland und seine Heimatstadt Ulm. Er trifft sich mit den aus Brasilien anreisenden Eltern.

Hans Lebrecht wollte damals auch prüfen, ob er wieder nach Deutschland zurückkehren solle, schließlich lehnten er und seine Frau „den Zionismus und seine Ideologie prinzipiell ab" und dachten seit Kriegsende immer wieder mal an eine Rückwanderung. Sie blieben aber dann in Israel, weil sie sich dort, so Lebrecht, zunehmend heimisch fühlten, weil sie Toscas jüngere Schwester Esther und deren junge Familie nicht allein lassen wollten (62) und weil Hans Lebrecht in Ulm 1951 auch auf einige unbelehrbare Nazis und Antisemiten gestoßen war. Selbst die „deutschen Freunde hatten .... unterschiedliche Schicksale durchlitten", sie und er „lebten offenkundig in völlig verschiedenen Welten" (65).

Engagement für Palästinenser und jüdische Underdogs

In den ersten Jahren des neuen Staates kam es in Israel zu Versuchen, ARABISCHEN Arbeitern KEINEN gewerkschaftlichen Schutz zu gewähren. Die israelische KP trat diesem Verhalten entgegen und erreichte 1959 die Aufnahme eines Gleichberechtigungs-Paragraphen in die Satzung der Gewerkschaft Histadruth (66).

Lebrechts Partei setzte sich nicht nur für die Palästinenser ein, sondern auch für andere unterprivilegierte Gruppen in Israel, vor allem die aus den Maghreb-Ländern eingewanderten (sephardischen) Juden. Sie waren in ihren Heimatländern in der Zeit der Eroberung durch die Rommel-Armee von der Mehrheitsbevölkerung verfolgt worden (Anmerkung vf: Dies ist eine Judenverfolgung, die in Deutschland wenig bekannt ist und die die häufig behauptete Toleranz des Islams gegenüber Juden in ein etwas anderes Licht rückt).

1959 erlebt Lebrecht, dass sein sieben Jahre zuvor in der BRD gestellter Wiedergutmachungsantrag großteils abgelehnt wird. Wenigstens nahm der westdeutsche Staat aber die NS-Ausbürgerung Lebrechts zurück – was diesem später half, sich für die Befreiung zweier zu Chilenen gewordenen Lebrecht-Neffen aus Pinochet-Haft wirkungsvoll einzusetzen (133). (Dass die DDR keine Wiedergutmachungszahlungen leistete, davon lesen wir bei Lebrecht nichts.)

Hans Lebrecht wird Journalist

Eher zufällig wird Hans Lebrecht in Israel zum Journalisten. Als solcher berichtete er ab 1956 unter anderem regelmäßig für die SED-Zeitung „Neues Deutschland"

1959 besucht Lebrecht erstmals die DDR. Er lernt dabei unter anderem den „Weltbühne"-Herausgeber Hermann Budzislawski kennen (Lebrecht wird drei Jahrzehnte lang für diese Zeitung Beiträge schreiben) und er lernt Gerhart Eisler kennen, den, so Lebrecht, „Leiter des DDR-Pressebüros" (richtig muss es wohl heißen: „Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Rundfunk" – einer, wie ich hier einfüge, keinesfalls auf Pressefreiheit orientierten Medienkontrolleinrichtung im DDR-Staat).

1962 besucht Lebrecht erneut Ostberlin und sieht auch „die Berliner Mauer, die kurz zuvor durch die Sowjetunion und die DDR errichtet worden war." (S. 80).- Das ist alles, was Lebrecht zu diesem Thema schreibt.

Fairerweise muss hier auch ein Erlebnis Lebrechts zitiert werden, das die nicht mehr rechtsstaatliche Verhaltensweise eines blinden westdeutschen Antikommunismus aufzeigt: Lebrecht erinnert sich, dass er bei einem Besuch Ulms im Jahr 1966 mit dem damaligen Ulmer OB Pfizer darüber stritt, welches Land, BRD oder DDR, freiheitlicher sei. Lebrecht führte als Argument gegen Pfizer an: „Eine DDR-Gewerkschaftsdelegation, eingeladen von westdeutschen (sozialdemokratischen) Kollegen, wurde bei der Ankunft im Westen noch am Bahnhof vom Verfassungsschutz aufgehalten und in Handschellen in die DDR zurückgeschickt" (S. 84)

Ein Jude kämpft lebenslang in Israel für Rechte der Palästinenser -

sogar gegen eigene Parteifreunde

Eine Folge aus Lebrechts journalistischer Tätigkeit für DDR-Medien war auch, dass er dort 1982 sein Buch über „Die Palästinenser – Vergangenheit und Gegenwart" veröffentlichen konnte. Er zeigt darin unter anderem auch Unrechtstaten seiner Landsleute gegenüber der palästinensischen Bevölkerung vor allem in den eroberten Gebieten auf. Das Buch erschien fünf Jahre später in Israel, auf Neuhebräisch.

Es gehörte sicher viel persönliche Tapferkeit dazu, als JUDE in Israel die Interessen der Palästinenser über so viele Jahrzehnte hin zu vertreten. Lebrecht gehörte damit immer zu einer „kleinen Minderheit". Einmal erwähnt er die ebenfalls jahrzehntelang für Palästinenser-Rechte engagierte Rechtsanwältin Felicia Langer als eine „Freundin". Langer lebt bekanntlich seit den 90er Jahren in der BRD.

Als ein Teil von Lebrechts Parteifreunde 1965 versuchte, pro-zionistischer zu werden, „um endlich einmal mehr als das eine Prozent" unter den jüdischen Wählern zu erzielen" (82), war Lebrecht entschieden dagegen. Er befürchtete, dass eine „nationalistische Wende die einzigartige jüdisch-arabische Einheit der KP gefährde".

Es kam dennoch zur Spaltung der Partei. Lebrechts Gruppierung, die „der Linie der arabisch-jüdischen Zusammenarbeit ... als ein Beispiel des ‚internationalen Proletarismus‘ treublieb", nannte sich dann RAKAH (Neue Kommunistische Liste") und errang bei den folgenden Wahlen dreimal so viel Sitze im israelischen Parlament wie die KPI (die den ursprünglichen Namen behalten hatte).

Die israelischen Kommunisten machten es sich nicht einfach: Den Sechs-Tage-Krieg beispielsweise nannten sie einen klaren Angriffskrieg, ausgehend von Israel, und eröffnet von der israelischen Regierung mit einer „PR-Lüge". (Ein Deutscher mag sich da an eine Kriegseröffnung von deutschem Boden aus im Jahr 1939 erinnert fühlen, Stichwort „Sender Gleiwitz"; für Lebrecht steht es aber, wie er an anderer Stelle bekennt, außer Frage, dass es KEINE Parallelen zwischen Drittem Reich und Israel gibt.)

Die Lebrecht-KP erklärte am Beginn des Sechs-Tage-Krieges, dass „kein Feind Israels" den tatsächlichen Interessen des Landes „mehr Schaden zufügen kann" als dessen eigene Regierung (89).

Der KP-Abgeordnete Vilner (ein Mit-Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung von 1948) musste damals im Parlament gegen andere Abgeordnete, die ihn attackieren wollten, geschützt werden. Er wurde bald darauf - als erstes Knesset-Mitglied in Israel - (beinah) Todesopfer eines Anschlags durch einen Israeli.

Berufskollegen von Lebrecht wollten diesen wegen seiner kritischen Berichte zum Sechs-Tage-Krieg aus dem Journalistenverband ausschließen. Lebrecht: Das hätte „die Prinzipien der Pressefreiheit klar" unterlaufen. S. 90.

Möglicherweise auch, um den Anfeindungen im eigenen Land zu entgehen, übernahm Lebrecht 1968 für drei Jahre einen Journalisten-Posten in Moskau, im Auftrag seiner heimatlichen KP.

Ein mutiger Mann kriegt Bammel vor dem Kreml-Chef

Lebrecht schildert im Zusammenhang mit seiner Moskauer Zeit zwei Begegnungen mit dem damaligen Premierminister Kossygin. Der sonst wirklich mutige Journalist Lebrecht schildert sich hier selbst als Angsthasen (100f). Allem nach war der hohe sowjetische Apparatschik für ihn unvergleichlich bedeutungsvoller als demokratisch gewählte Politiker oder als der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat (dem Lebrecht bei einer Pressekonferenz 1977 eine sehr unangenehme Frage stellte, S. 118), dahingehend, wie man einen ehrenhaften Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten schließen könne, OHNE die palästinensische Bevölkerung einzubeziehen.

Nach der Rückkehr aus Moskau nach Israel wurde Lebrecht Korrespondent des Neuen Deutschland (DDR), der „Humanité" als des offiziellen Organs der französischen KP, der „Unitá" als des Organs der italienischen KP, der „People’s Daily World" der US-KP und der Tageszeitung „Unsere Zeit" der westdeutschen DKP. 1974 kam auch der Sender „Stimme der DDR" hinzu, für den Lebrecht 17 Jahre lang zweimal wöchentlich (also wohl bis zur „Wende") Berichte über Israel durchtelefonierte.

Anfang der 70er Jahre heiratete Lebrechts Tochter Tochter Margalith einen Deutschen. Der Trauung in Bremen wohnte der damalige Bürgermeister der Stadt, Hans Koschnick, bei (108); Koschnick schrieb für die hier besprochene Veröffentlichung ein Vorwort.

Aus dem Jahr des Jom-Kippur-Krieges zitiert Lebrecht eine Antwort der damaligen Ministerpräsidentin Golda Meir auf eine von ihm bei einer Pressekonferenz gestellte Frage: „Israel wird sich nie von den Grenzen, die wir im Sechs-Tage-Krieg erreicht haben, zurückziehen."

Der Sozialismus bricht zusammen - Die israelische KP schließt Lebrecht aus

In Sachen „Palästinenser" hat Lebrecht IMMER eine Randposition in seinem Land eingenommen, er ertrug es. - Eine andere „Marginalisierung" widerfuhr dem - in seinen Ansichten anscheinend jederzeit übereinstimmenden - Ehepaar Tosca und Hans Ende der 80er Jahre: der „Zusammenbruch des sozialistischen Lagers in Osteuropa". - Für Lebrecht war auch das kein Anlass zur Verunsicherung. Lebrecht bekennt sich in seinen Memoiren zur „historischen Aufgabe" des Sozialismus, „die einzig mögliche Alternative zum inhumanen und weltzerstörenden Kapitalismus zu bilden." (Wohlgemerkt: Dies schreibt ein Sohn, Enkel und Bruder von engagierten Kapitalisten). Lebrecht zeigt sich auch im 3. Jahrtausend „davon überzeugt, dass der Sozialismus zum Wohle der ganzen Menschheit am Ende siegreich sein wird." (123). Er bleibt bei diesem Glauben, obwohl seine EIGENE parteipolitische Heimat IHN, diesen für die kommunistische Idee so verdienten Mann, im Jahre 1997 ausschließt. Die damals neue Mehrheit an der Spitze der Partei hatte (nun wird Lebrecht gar zum Verschwörungstheoretiker): „über eingeschleuste" (!) Mitglieder die Mehrheit errungen und nahm „Abschied von der strengen, sowjet-geprägten kommunistischen Ideologie". Lebrecht war „schockiert und empört zugleich" über diesen Ausschluss, „nach den insgesamt 55 Jahren als loyales Parteimitglied". Aber, so bekennt er: „Begeisterter Kommunist bin ich bis zum heutigen Tag geblieben, und auf jeden Fall stehe ich weitaus fester auf dem Boden der marxistisch-leninistischen Lehren als die gegenwärtige Parteiführung." (131)

Im „Epilog" des Buchs nennt Lebrecht sein politisches Ziel für Israel, das Land „so zu verändern, dass" es „seine anachronistische, kolonialistische, landraubende Ideologie des Zionismus abschüttelt."

Folgende Fragen würde der Verfasser dieser Buchbesprechung gern an Hans Lebrecht stellen:

Worauf begründet sich der Glaube an die Überlegenheit des Marxismus-Leninismus über andere „Politiken", obwohl wir ja inzwischen über die Schwarzen Seiten dieser Politik eine Menge erfahren haben? (Keine Frage: über den deutschen Faschismus brauchen wir uns nicht zu unterhalten).

Wie kann ein Mann Pressefreiheit einklagen und sich selbst Regimen verbunden fühlen, die diese Freiheit als eine der ersten nach ihrer Machtübernahme abschafften?

Wie kommt es, dass die allermeisten seiner israelischen Landsleute eine völlig andere Einstellung zum Palästinenser-Konflikt haben als Lebrecht?

Glaubt er wirklich, dass eine „Ideologie" (wie diesfalls der Zionismus) so viele Menschen in seinem Heimatland knebeln kann? Dass nicht vor allem Erfahrungen, Interessen, Gefühle seine israelischen Landsleute bei ihrem politischen Handeln leiten?

Veit Feger Veit.Feger@t-online.de

Eine Kritik der Kritik

Ich, V. Feger, legte meine Buchbesprechung dem Herausgeber Dr. Silvester Lechner her. Dieser wies mich freundlicherweise auf einige Mängel meines Originaltextes hin und schreib unter anderem folgendes (was ich als Korrektur meiner Kritik hier wiedergeben möchte).

....„Zu Ihren zentralen Fragen am Schluss vergleichen Sie bitte noch einmal die beiden Vorworte von Noy-Meir und mir im Buch.
Bei Ihnen kommt - so scheint mir - HL als bockelharter unbelehrbarer Kommunist von Anfang bis Ende raus; dazu sagt Noy-Meir etwas; und ich kann ergänzen in psychologischer Perspektive einerseits: sein kommunistischer Weg war eine sehr differenzierte Entwicklung; und andererseits: seine Hinwendung zum Kommunismus war eine Antwort auf die Kränkung, als Jude nicht mehr Ulmer/Deutscher sein zu dürfen, war eine Antwort auf die eine traumatische Störung seiner ulmischen Identität - im sensiblen Alter des Erwachsenwerdens. Davon abzurücken erschien ihm immer als Verrat: "die Ratten verlassen das sinkende Schiff ", sagte er mir bei einem seiner letzten Besuche zu dieser Frage.
Sein radikales Gegenmittel waren die elementaren, internationalen Gleichheits- und Gerechtigkeits-Versprechungen des Sozialismus/ Kommunismus; und die bleiben ja, auch wenn der "reale Sozialismus" sowjetischer Prägung untergegangen ist. .....

Mir als Herausgeber ging es ausschließlich darum, ein Selbstzeugnis eines Ulmer Juden für die Öffentlichkeit zu bewahren , wie wir es mit den Resi-Weglein- und Alfred -Moos-Büchern schon getan hatten. Seine politische Richtung war uns dabei kein Problem und kein Motiv für die Herausgabe....."

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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