Ein  Büchlein aus dem Frankreich der Revolutionszeit……

Verliebter Witwer feiert das Andenken seiner verstorbenen Frau

Ich gucke Bücher durch, die ich vor langem antiquarisch erwarb. Ich frage mich, was ich von diesen Büchern noch  behalten will und was verschenken (ich bin über achtzig Jahre alt)

Ich stoße  auf ein Büchlein aus dem Jahr 1798.

Ich befasse mich JETZT (im April 25) zum ersten Mal intensiv mit diesem Büchlein,

das ich weiß nicht mehr wo und wann - erwarb,

 weil ich es auf den ersten Blick als ganz ungewöhnlich empfand.

Ein Ehemann, höherer Offizier und allem nach nicht gerade arm, setzt seiner mit 37 Jahren vergleichsweise jung verstorbenen Ehefrau, einer berühmten Pariser Schauspielerin, per Buch ein literarisches und künstlerisches Denkmal:

 durch eigens für  das Buch in Auftrag gegebene Künstler-Bilder,

 durch  eine im Buch abgedruckte Lied-Komposition,

durch die Wiedergabe von Gedichten und Briefen.

Der Witwer  würdigt das Gedächtnis seiner Frau  auch - außerhalb des Buchs durch einen (im Buch bildlich dokumentiert, auf mich bombastisch wirkenden)  riesigen Grabstein. Diesen  Grabstein ließ er in seiner normannischen Heimat (Region Calvados Falaise) oben auf einem Berg errichten.

 Dieser der Grabstein kann noch immer besichtigt werden.

Das Büchlein im Oktav-Format (also knapp Handflächen-groß) mit knapp zweihundert Seiten erschien in einem Pariser Verlag im „an VII de la République“, „im Jahr 7 der Republik“,  also in der französischen Revolutionszeit, als ein neuer Kalender galt (ab diesem siebten Jahr der Republik - nach unserer christlichen Zeitrechnung im Jahr 1798, dauerte diese neue Zeitrechnung grad noch bis 1805;  Napoleon nahm die von Revolutionären begründete neue Zeitordnung  wieder zurück).

Der Titel des Büchleins, das der Autor sicher auf seine eigenen Kosten setzen, illustrieren und drucken ließ, ist ebenfalls  nicht gewöhnlich:

“Aux manes de Marie-Élisabeth Joly, artiste célèbre du Théâtre Français. Par N.-F.-R.-F. Dulomboy,  Ancien Capitaine de Cavalerie, &c.” („manes“ bitte mit „Dächle“). Das Buch erschien in der Imprimerie Delance, Paris, 1798.

Auf einer weiteren Titel-Seite lesen wir:  “Aux Manes de Joly, mon amante, mon epouse et mon amie” - „den Manen Jolys, meiner Geliebten, meiner Gattin und meiner Freundin“.

“Aux manes”  ist eine - auch zu jener Zeit ungewöhnliche  - Zitierung eines altrömischen Begriffs. Der Verwender wusste wohl  nicht,  was „Manen“ bedeutet, denn SEIN Buch galt ja nicht der Erinnerung an MEHRERE verstorbene Geister (Geister von VORFAHREN), sondern nur der Erinnerung an eine einzige Person. (Der Autor war, empfinde ich, von sich sehr eingenommen.)

Im folgenden ein wenig über die Person der Erinnerten. Zu beachten: der Eigenname „Joly“ bedeutet im Französischen „hübsch“. Mit dieser Alliteration  spielt der Autor (empfinde ich) an verschiedenen Stellen.

Es gibt eine Reihe Quellen zum Leben von Frau Joly; diese Quellen kennen sich gegenseitig nicht unbedingt. Ich fand ein französisches und ein englisches Wiki,  auch Hinweise auf Buchveröffentlichungen über Schauspielerinnen jener Zeit allgemein, es gibt sogar ein eigenes Buch (1928) über diese einst höchstberühmte Schauspielerin (verfasst vom bedeutendsten französischen Kierkegaard-Übersetzer), es gibt jenes Grab in der Heimat des Witwers und es gibt über dieses Grab zwei  erst vor wenigen Jahren entstandene Youtube-Videos; in dem einen  führt ein  Fremdenführer des Gebiets Calvados zu jenem Grabstein  und äußert sich  auf dem Weg do rthin  und vor Ort ausführlichst,  geradezu geschwätzig über die mit dem Sarkophag verbundene Geschichte.

Jenes Büchlein aus dem Jahr 1798, dem Todesjahr von Marie-Elisabeth Joly, wurde im 21. Jahrhundert reprinted, anno 2012.  Wenn man im Internet Angaben über das Buch aus dem Jahr 1798 sucht, findet man Angaben nur  über das Reprint, nicht über das Original.

M.E. Joly wurde anno 1781, also mit zwanzig Jahren, an der Comédie Francaise  engagiert, ihre Karriere begann aber schon früher.  Ihre Eltern konnten sie bereits als siebenjährige  ins  „Corpe de ballet“ der Comédie einführen. Der Vater hatte  als Kostüm-Entwerfer und Zwischendurch-Schauspieler auch schon  mit dem Theater zu tun.

Früh spielte die kleine junge Marie Elisabeth in Frankreich  bekannte Theaterrollen, so die „Louison“ aus dem „Eingebildeten Kranken“ von Moliere, die „Joas“ in „Athalie“, die „Dorine“ im „Tartuffe“, die „Lisette“ in „Le Tuteur“ von Dancourt. 

Marie-Elisabeth  war als Jugendliche mit einer Schauspieler-Truppe in Frankreich unterwegs und kam auch nach Caen, wo sich der Kavallerie-Offizier Nicolas Fouquet Dulomboy in sie verliebte, sie heiratete und von ihr fünf (andere Quelle: vier) Kinder bekam; zwei wurden bereits VOR der Eheschließung geboren.

Dulomboy war hoher Offizier,  Ritter des Malteser-Ordens, Bürgermeister der Stadt Tassily (bei Saint Quentin) und Besitzer des Landsitzes Poussendre in der Gemeinde Bons-Tassily (früher nur „Tassily“).

M. E. Joly trat sogar vor  der französischen Königin Marie Antoinette im Schloss  Versailles auf (1785).  - In der französischen Revolutionszeit, anno 1793, wir d sie einige Wochen inhaftiert (unter dem Verdacht, sie sei Anhängerin des Königtums, „Royalistin“), sie wird aber auf eine Intervention des berühmten (revolutionsnahen) Schauspielers Francois-Joseph Talma hin wird sie freigelassen. Sie trat dann auch  im „Theater der Republik“ auf.

Sie erkrankt (möglicherweise im Gefängnis 1793)  an Schwindsucht (Tuberkulose) und stirbt an dieser Krankheit  im Frühjahr 98. - Zwei ihrer Kinder waren zu diesem Zeitpunkt  bereits Schauspielerinnen und waren auch   gemeinsam mit der Mutter in einem Theaterstück aufgetreten.

Der Ehemann ließ seine Frau in seiner Heimat beerdigen, an einem der höchsten Punkte der Umgebung von Tassily. Für den schönen Grabstein mit figürlichen Reliefs engagierte er einen berühmten Bildhauer, Jacques-Philippe Le Sueur (Dieser in seiner Zeit sehr berühmte Bildhauer hatte auch das Grabmal von Jean Jacques Rousseau geschaffen).

Das Buch „Aux Manes“ ist mit zwei Illustrationen versehen; die eine dient als Frontispiz und zeigt ein Bild des Witwers, der an einem Tisch mit einer  marmornen Büste sitzt, ungewöhnlich: die Person der Büste ist eine FRAU (ich vermute: die Ehefrau).  Gemalt hat das dem Stich zugrundeliegende Bild der frz. Maler Jean-Demosthène Dugourc. Sehr wahrscheinlich ist der von Dugourc dargestellte Mann mit Schreibfeder in der Hand und mit einer Urne vor sich auf dem Tisch der Witwer Nicolas Fouquet Dulomboy. Die Verse unter dem Bild: „Joly dans la tombe enfermée / Près de son coeur a mes cheveux / Dans cette Urne  j’ai sous les yeux / Les Cheveux de ma bin aimée“

Auf Seite 85 befindet sich der zweite Stich, ebenfalls nach einem von Dugourc gemalten Bild: es zeigt den  Sarkophag für Joly,  mit der Aufschrift  „Ici repose Joly“ (wieder dieses Wortspiel mit dem Nachnamen der Verstorbenen: „Hier ruht Joly“, oder „Hier ruht Hübsch“). Der Sarkophag war mit verschiedenen Flachreliefs geschmückt.

Die letzten im „Netz“ vorfindbaren Befassungen mit Frau Joly sind zwei Videos, aus dem gleichen  Jahr 2021. Hier zunächst  das Video von Fremdenführer „Vlad“ (Vladimir), auf  Youtube unter dem Titel: „Les Mordus du Patrimoine, épisode 3 : le tombeau de Marie Joly, Département du Calvados, 2021“  https://www.youtube.com/watch?v=Q369Y_-g_yc - Dieses Video hat den Vorteil, Details des Grabmals zu zeigen, mit einer liegenden Figur, die die Tote darstellen soll, und mit der antiken Muse der Theaterkunst, Thalia.

Ebenfalls aus dem Jahr 2021 stammt dieses Video: https://www.youtube.com/watch?v=3E3HIkSY7ws  Es handelt sich hier weitgehend um Luftaufnahmen des Joly-Grabmals; man sieht die Lage des Grabmals in einem weiten Waldgebiet. Dazu erklingt als Begleitmusik das berühmte melancholische „Andante con moto“ aus dem  Trio opus 100 von Franz Schubert: https://www.youtube.com/watch?v=nioKJNp8ADE

Veit Feger

Illustrationen

Dem Bändchen sind zwei Stiche beigegeben, gestochen nach Zeichnungen Dugourcs durch den Stecher Jean Fortier. Diese beiden Stiche finde ich nirgendwo im Internet, im Gegensatz zu einigen Portraits von Marie-Elisabeth Joly. Der erste Stich, zur Eröffnung des Bändchens, zeigt wohl den Autor mit einer Büste, die wohl seine verstorbene Frau darstellen soll, dazu eine Urne. Die Überschrift: „La Plüme de l‘ Amour“, Die (Schreib-)Feder der Liebe -

Der zweite Stich zeigt das Grabmal in der Normandie, das der Witwer errichten ließ. Aufschrift: „Ici repose Joly“ - Hier ruht Hübsch“ - Der Putto (kleiner Engel) links hält eine Schauspieler-Maske  (antiker Machart)  in der Hand, sicher ein Hinweis auf den Beruf von Marie-Elisabeth Joly.

Veit Feger

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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